Hermann Giesecke:

Die Jugendarbeit

München: Juventa-Verlag, 5. völlig neu bearb. Aufl. 1980
 
 

Inhaltsverzeichnis

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Zu dieser Edition:

Dieses Buch behandelt die Jugendarbeit von 1945 bis 1980 in Westdeutschland bzw. der westlichen Bundesrepublik und schließt an das Buch Vom Wandervogel bis zur Hitlerjugend an, das die Entstehung und Entwicklung der Jugendarbeit von 1900 bis 1945 beschreibt.
Weggelassen wurden das Vorwort des Herausgebers, das Vorwort des Verfassers zur neuen Ausgabe und die weiterführenden Literaturangaben zu den einzelnen Kapiteln.
Das  Literaturverzeichnis befindet sich auf dem Stand des Erscheinungsjahres 1980.
Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Darüber hinaus wurde das Original jedoch nicht verändert.  Um die Zitierfähigkeit zu gewährleisten, wurden die ursprünglichen Seitenangaben mit aufgenommen und erscheinen am linken Textrand; sie beenden die jeweilige Textseite des Originals.
Der Text darf zum persönlichen Gebrauch kopiert und unter Angabe der Quelle im Rahmen wissenschaftlicher und publizistischer Arbeiten wie seine gedruckte Fassung verwendet werden. Die Rechte verbleiben beim Autor.

© Hermann Giesecke

Inhalt

Vorwort des Herausgebers
Vorwort zur neuen Ausgabe
Einleitung: Zum Begriff Jugendarbeit

1. Kapitel: Die Entwicklung der Jugendarbeit nach 1945
Geschichtliche Hintergründe und Ausgangspositionen
Jugendverbände
Jugendfreizeitstätten
Jugendbildungsstätten
Zeitbedingte Maßnahmen

2. Kapitel: Jugendarbeit im gesellschaftlichen System.
Die politisch-gesellschaftliche Organisationsstruktur der Jugendarbeit
Das politische Selbstverständnis der Jugendarbeit

3. Kapitel: Aspekte einer pädagogischen Theorie der Jugendarbeit
Jugendarbeit und Theorie des Jugendalters
Das pädagogische Feld der Jugendarbeit
Spezifische pädagogische Chancen in der Jugendarbeit
Dimensionen der pädagogischen Interaktion

4. Kapitel: Zusammenfassung: Veränderungen in der Jugendarbeit

Weiterführende Literaturangaben zu den einzelnen Kapiteln .
Literaturverzeichnis
Sachregister



        Einleitung: Zum Begriff Jugendarbeit
        

        In einem städtischen Jugendcafe wird Beat getanzt; eine Jugendgruppe hält ihren wöchentlichen Heimabend ab und singt Fahrtenlieder vom "wilden Gesellen"; in einem Jugendwohnheim animiert der Heimleiter die Bewohner - jugendliche Arbeiter - zu einer Filmdiskussion; Jugendliche verbringen ihren Urlaub mit einer Jugendreisegesellschaft in Italien; in einer Tagungsstätte diskutieren Oberschüler über Marxismus; eine Gewerkschaft schult in einem Wochenendkurs ihre jungen Funktionäre; ein Sportverein treibt Sonderturnen mit Kindern, die Haltungsschäden haben; ein Jugendchor übt alte Madrigale; eine international besetzte Jugendgruppe verbringt den Urlaub an der Nordsee, um Strandhafer zu pflanzen; eine Oberprima ist nach Berlin gefahren, um dort die Mauer zu besichtigen.

        Auf den ersten Blick scheinen alle diese Tätigkeiten, die sich beliebig weiter addieren ließen, nur wenig gemeinsam zu haben: In allen Fällen handelt es sich um Aktivitäten, die Kinder bzw. Jugendliche in ihrer freien Zeit ausüben und die von in der Regel professionell tätigen Erwachsenen inszeniert werden. Die Erwachsenen werden für ihre Arbeit meist aus öffentlichen Mitteln ebenso bezahlt wie die bei dieser Arbeit entstehenden Unkosten (Reisekosten, Bau und Erhaltung der Räume und Häuser usw.).

        Während man die eben beschriebenen Aktivitäten, die von Erwachsenen für Kinder und Jugendliche ermöglicht werden, zweifellos als Jugendarbeit bezeichnen würde, ist dies bei den folgenden Beispielen, bei denen Erwachsene keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, schon nicht mehr so sicher: Eine Gruppe von Freunden, die keinem Verband angehört, geht auf eigene Initiative und Kosten "auf große Fahrt"; eine Gruppe von Schülern trifft sich regelmäßig in einem preiswerten kommerziellen Lokal, um zu diskutieren und Karten zu spielen; eine "Basisgruppe" von Lehrlingen verlangt im städtischen Jugendheim Einlaß, um Protestaktionen gegen den eigenen Betrieb vorbereiten zu können; eine Rocker-Gruppe verlangt Einlaß ins städtische Jugendheim, um ihr "lautes Treiben" in warmen Räumen fortsetzen zu können.

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        Es ist unter den Fachleuten umstritten, ob auch diese zuletzt genannten Beispiele zur Jugendarbeit zu rechnen sind. Traditionell jedenfalls gehört es zum Selbstverständnis der Jugendarbeit, daß sie von Erwachsenen nach deren Normen und inhaltlichen und methodischen Entscheidungen für junge Menschen veranstaltet wird.

        Die Schwierigkeit einer allgemeingültigen Definition verweist auf Probleme der Sache selbst; denn neben dem, was von Erwachsenenorganisationen für Jugendliche außerhalb von Schule und Beruf, also in der Freizeit der Jugendlichen veranstaltet wird, gibt es offensichtlich eine ganze Reihe von Tätigkeiten und Gesellungen Jugendlicher - auch im kommerziellen Rahmen - , die nicht unter den Begriff der Jugendarbeit fallen, dennoch aber pädagogische Bedeutung, nämlich Sozialisationswirkungen für die Jugendlichen haben. Es gibt also immer auch neben den Angeboten der Jugendarbeit das übliche Freizeitleben der Jugendlichen, ganz abgesehen davon, daß die Mehrheit der Jugendlichen die Angebote der Jugendarbeit gar nicht erst in Anspruch nimmt.

        Die Beispiele zeigen ferner, daß die Praxis der Jugendarbeit sehr viele Gesichter hat, viele methodische Varianten und Gesellungsformen kennt und insofern - anders als der schulische Unterricht - sich einer allgemein verbindlichen Beschreibung weitgehend entzieht. Der Grund für diese Vielfalt ist darin zu sehen, daß diese Praxis nicht das Ergebnis einer leitenden Idee gewesen ist, sondern historisch additiv zustande gekommen ist. Was immer sich als notwendig für die Unterstützung der Jugend erwies bzw. dafür gehalten wurde und sich nicht im Schulwesen verankern ließ, wurde in die Programme der Jugendarbeit aufgenommen und den bisherigen Aufgaben einfach hinzugefügt.

        Hinzu kommt, daß diese Praxis - obwohl mit erheblichen öffentlichen Mitteln finanziert - lange Zeit sich selbst genug war, nicht an wissenschaftlichen Untersuchungen oder Planungen interessiert war und auch keiner systematischen pädagogischen Theorie bedurfte. Erziehungswissenschaftliche Reflexionen setzten erst in den sechziger Jahren ein, und erst Anfang der siebziger Jahre begannen sich Erziehungs- und Sozialwissenschaften gründlicher mit der Jugendarbeit zu beschäftigen. Vielleicht zeigt dieses wissenschaftliche Interesse, daß das naive Selbstverständnis der Jugendarbeit inzwischen fragwürdig geworden ist.

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        Der Begriff "Jugendarbeit" hat sich erst relativ spät durchgesetzt. Um die Jahrhundertwende nannte man alle Arbeit an der Jugend unterschiedslos "Jugendfürsorge". Mit diesem Ausdruck bezeichnete man "im weitesten Sinne alles, was Elternhaus, Schule, Gemeinde und Staat, was wohltätige Vereine und sozialgesinnte Personen für einen Minderjährigen von seiner Geburt an bis zu dem Zeitpunkt tun, wo er die Volljährigkeit erreicht hat, und was ihn befähigen soll, sich als selbständiges, sozial brauchbares Glied der Gesellschaft zu behaupten" (Petersen 1915, S. 1). Allerdings wurden als der außerfamiliären Fürsorge bedürftig nur die Jugendlichen der unteren sozialen Schichten (der Arbeiter) angesehen. Säuglingspflege, Schulspeisung, Erholungen, Berufsberatung, Räume für das Verbringen der Freizeit - all das mußte die bürgerliche Gesellschaft den proletarischen Kindern anbieten, nicht den bürgerlichen, denn für diese sorgten in hinreichendem Maße die eigenen Familien. Die im Jahre 1900 gegründete halbamtliche "Zentrale für Jugendfürsorge" versuchte, diese Maßnahmen für die proletarische Jugend zusammenzufassen und zu koordinieren. Angesichts der verbreiteten Not der proletarischen Jugend waren solche Maßnahmen zwar nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, ihre Notwendigkeit trat aber immer mehr ins öffentliche Bewußtsein, vor allem dank der Tätigkeit des "Vereins für Sozialpolitik" (der sogenannten "Kathedersozialisten"), der die Fürsorge für die Arbeiterschaft zu einer nationalen Gewissensfrage gemacht hatte.

        Ebenfalls im Jahre 1900 benannte man die bis dahin "Zwangserziehung" genannte Anstaltserziehung für straffällige und verwahrloste Jugendliche in "Fürsorgeerziehung" um. Daß damit für Aufgaben an der "straffälligen" und "normalen" Jugend der gleiche Begriff verwandt wurde ("Fürsorge"), führte in der Öffentlichkeit zu Protesten gegen diese Gleichsetzung, und die Folge war eine bis zum Ersten Weltkrieg reichende ziemliche Sprachverwirrung in der Literatur: "Jugendfürsorge", "Jugendpflege", "Jugendarbeit" wurden nun teils für das gleiche, teils für verschiedenes gebraucht.

        Erst der preußische Jugendpflegeerlaß von 1911 führte den Begriff "Jugendpflege" für die Arbeit mit der nicht-verwahrlosten und nicht-straffälligen Jugend ein. Nun setzte sich langsam der Sprachgebrauch durch, "Jugendfürsorge" und "Jugendpflege" zu unterscheiden und beides zusammen "Jugendarbeit" zu nennen. Das Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) von 1922 ersetzte den Begriff "Jugendarbeit" durch "Jugendwohlfahrts-

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        pflege", und die Novelle zum Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) von 1961 ersetzte diesen Begriff wiederum durch den der "Jugendhilfe".

        Wie man sieht, ist Jugendarbeit eigentlich niemals ein "offizieller" Begriff, etwa der zentrale Terminus des Gesetzes, gewesen. Gleichwohl hat er nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer derartigen Zähigkeit den Begriff Jugendpflege verdrängt, daß letzterer, außer in Gesetzestexten und juristisch orientierten Beiträgen, in der Literatur kaum noch zu finden ist.

        Dieser "Kampf um die Worte" ist ein interessantes und auch lehrreiches Schauspiel. Er entzündete sich nämlich immer an dem emotionalen Gehalt, der den Worten und damit schließlich auch den Taten anhaftete. Der Leser möge selbst einmal ausprobieren, was er assoziiert und welche Gefühle er mobilisiert, wenn er "Jugendhilfe", "Jugendpflege", "Jugendwohlfahrt" oder "Jugendarbeit" hört. Vermutlich wird er Jugendarbeit für den emotional neutralsten Begriff halten.

        Auch das JWG in seiner gegenwärtigen Fassung gibt uns keine präzisen Anhaltspunkte für eine Definition. Das, was in der Praxis heute unter Jugendarbeit verstanden wird, hat im Gesetz keinen selbständigen Ort. In Paragraph 5, Absatz 1 JWG erhält das Jugendamt, die zentrale Behörde für alle Maßnahmen des JWG, die "Aufgabe", "die für die Wohlfahrt der Jugend erforderlichen Einrichtungen und Veranstaltungen anzuregen, zu fördern und gegebenenfalls zu schaffen". Von den anschließend genannten acht Aufgabenkomplexen gehören jedoch nur drei nach dem gegenwärtigen Verständnis zur Jugendarbeit, nämlich die Nr. 5 ("allgemeine Kinder- und Jugenderholung sowie erzieherische Betreuung von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Familienerholung"), 6 ("Freizeithilfen, politische Bildung und internationale Begegnung") und 7 ("Erziehungshilfen während der Berufsvorbereitung, Berufsausbildung und Berufstätigkeit einschließlich der Unterbringung außerhalb des Elternhauses"). Versucht man die Verselbständigung der Praxis der Jugendarbeit mit der Aufzählung des JWG in einer Definition zu verbinden, kann man sagen: Jugendarbeit bezeichnet diejenigen von der Gesellschaff Jugendlichen und Heranwachsenden angebotenen und im JWG katalogisierten Lern- und Sozialisationshilfen, die außerhalb von Schule und Beruf erfolgen, die Jugendlichen unmittelbar, also nicht auf dem Umweg über die Eltern, ansprechen und von ihnen freiwillig wahrgenommen werden.

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        Unsere Definition nimmt fürs erste folgende Abgrenzungen vor:

        1. Wir verstehen unter Jugendarbeit nur solche pädagogischen Maßnahmen, die von der Gesellschaft, genauer: von den "Organen der öffentlichen Jugendhilfe" bzw. den "Trägern der freien Jugendhilfe" (JWG), organisiert werden. "Spontane" Aktionen von jugendlichen Gruppen (also etwa die Beispiele unserer zweiten Serie) fallen nur dann darunter, wenn sie sich dieser Angebote in irgendeiner Form bedienen, z. B. durch finanzielle Unterstützung oder Benutzung von Räumen usw.

        2. Unter die Definition fallen nur pädagogisch intendierte Angebote, also Lernangebote, nicht auch Versorgungsleistungen (z. B. nicht Maßnahmen des Ausbildungsförderungsgesetzes).

        3. Die Definition enthält eine Altersabgrenzung; die in Paragraph 5, Absatz 1 JWG genannten Maßnahmen Nr. 5 bis 7 gehören nur dann zur Jugendarbeit, wenn sie sich nicht an Kinder wenden.

        4. Die Definition schließt solche Maßnahmen aus, die in Paragraph 5, Absatz 1 JWG genannt sind, sich aber primär an die Eltern bzw. Erziehungsberechtigten wenden (z. B. Erziehungsberatung).

        5. Die Bestimmung der "freiwilligen Teilnahme" grenzt die Maßnahmen der Jugendarbeit von solchen der Zwangserziehung ("Fürsorgeerziehung") ab.

        6. Die Bestimmung, daß Maßnahmen der Jugendarbeit außerhalb von Schule und Beruf erfolgen, weist sie dem Freizeitbereich zu.

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 URL des Dokuments: : www.hermann-giesecke.de/juga.htm

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